„Und bringsch mer no es Pfünderli vom Beck, gäll!“ Das pflegte meine Mutter mir als Kind hinterher zu rufen, wenn ich für sie im Dorf ein paar Besorgungen machen musste. Dieses 500g schwere, längliche, herrlich duftende Brot bestand aus Ruchmehl und oft habe ich es schon auf dem Nachhauseweg angeknabbert. Es gehört zu meiner Kindheit wie die Ovomaltine oder das Aromat. Wir assen dieses Brot am liebsten zum Frühstück mit einer dicken Schicht Butter und Konfitüre bestrichen.
Viele unserer regionalen und kantonalen Brotspezialitäten werden ganz oder teilweise mit Ruchmehl gebacken. Solche Brote sind charaktervoll und rustikal angehaucht. Gleichzeitig sind sie sehr mild und vor allem hocharomatisch. Kein Wunder, sind sie in der Schweizer Brotlandschaft fest verankert. Aber nicht nur dort! Das Ruchmehl ist sogar per Schweizer Gesetz definiert, und zwar in der Verordnung Nr. 817.022.109 des Eidgenössischen Departements des Inneren. Um genau zu sein im 2. Kapitel, 1. Abschnitt, im Artikel 5. Dort wird es unter „Normalmehl“ als Mehl definiert, welches noch „einen Teil der äusseren Randschichten enthält“.
In der Schweiz gibt es im Endverbraucher-Markt keine DIN-Typisierung der Mehle. Auf der Verpackung steht einzig „Ruchmehl“ oder „Halbweissmehl“ oder „Weissmehl“. Die Müller – wollen sie Verbandsmitglieder beliefern – halten sich jedoch an die Vorgaben von Richemont, dem in Luzern ansässigen Kompetenzzentrum der Bäckerei- Konditorei- und Confiseriebranche. Dieses definiert die mögliche Bandbreite des Ausmahlungsgrades von Ruchmehl. Der Ausmahlungsgrad, auch Mehlausbeute genannt, gibt uns – vereinfacht gesagt – Informationen darüber, wie viel Prozent des ganzen Kornes im Mehl noch enthalten ist. Heisst: je höher das Gewicht des fertig gemahlenen Mehls in Bezug auf sein Anfangsgewicht ist, umso höher ist der Ausmahlungsgrad respektive umso mehr Randschichten sind im Mehl enthalten. Beim Ruchmehl liegt der Ausmahlungsgrad meist bei rund 85%. Dies entspricht ungefähr einem deutschen Weizenmehl Type 1050 oder einer österreichischen Type W 1600. Was den Geschmack und die Backeigenschaften betrifft sind sie allerdings meist nicht mit dem Original vergleichbar.
Was sind denn die Vorzüge des Ruchmehls? Ein Ausmahlungsgrad von rund 85% bedeutet, dass recht viele Randteilchen vom Korn enthalten sind. Das wirkt sich positiv auf den Geschmack aus. Brote mit Ruchmehl sind denn auch äusserst aromatisch und geschmacksvoll. Aber auch ernährungstechnisch bieten solche Mehle, die in Richtung Vollkornmehl gehen – einige Vorteile. Sie enthalten nämlich eine ganze Palette an gesunden Vitaminen, Mineral- und Ballaststoffen. Gerade die Ballaststoffe sind zudem in der Lage, viel Wasser zu binden. Und deshalb haben Teige, die mit eher dunkleren Mehlen erstellt werden, auch eine höhere Wasseraufnahmefähigkeit. Das wirkt sich unter anderem positiv auf die Frischhaltung der Brote aus. Man spricht, wenn es um den Wassergehalt in Teigen geht, auch von Hydration. Die Hydration drückt den prozentualen Wasseranteil im Teig in Bezug auf die Gesamtmehlmenge aus. Kommen zum Bespiel auf 1 Kilogramm Mehl 700g Wasser, beträgt die Hydration 70%. Das heisst also: je höher die Prozentzahl, umso mehr Wasser ist im Teig. Bei hochwertigem Ruchmehl sind Hydrationen im Bereich von 90% problemlos möglich.
Der Ausdruck „ruch“ steht im Schweizer Dialekt für „grob“, „rau“. Denn durch den hohen Ausmahlungsgrad entstehen damit eher dunkle, rustikale Brote.
Doch was ist denn das Erfolgsgeheimnis des Schweizer Ruchmehls? Adolf Tschudi führt mit seinem Sohn Lukas bereits in der 9. Generation die kleine, bei Mehlkennern sehr beliebte Altbachmühle in Wittnau, einer kleinen Gemeinde im Kanton Aargau. Um richtig gutes Mehl zu produzieren, sagt er, sei einerseits das Getreide wichtig. Deshalb arbeitet er eng mit regionalen Bauern zusammen. Dies garantiert eine konstante Qualität und die Steuerung der gewünschten Sorten. Andererseits brauche es – gerade bei anspruchsvolleren Mehlen wie dem Ruchmehl, die nötige Erfahrung am Walzenstuhl. Denn: Original Ruchmehl ist ein Direktprodukt präziser müllerischer Leistung und keine nachträgliche Mischung von Kleie und Weissmehl. Und etwas hat er auch noch gesagt. Sein Mehl besteht nämlich nur aus Mehl. Und sonst rein gar nichts. Auf meine Frage, wie lange denn der Prozess vom Korn zum Mehl dauere, sagt er mit bescheidener Begeisterung: „Knapp 10 Minuten!“ Ich staune. Die Mühle ist auf dem neusten Stand der Technik. Und trotzdem fühle ich mich inmitten dieser knatternden Maschinen und in diesem historischen Haus fast ein bisschen in eine frühere Zeit zurückversetzt. In eine Zeit, als die Welt noch klein und in Ordnung war. Und ich beim „Dorf-Beck“, wo heute eine grosse Überbauung steht, ein warmes, feinduftendes Pfünderli in die Arme schliessen konnte.
Auch deutsche und österreichische BrotkünstlerInnen und BäckerInnen schätzen die einzigartigen Vorzüge des Ruchmehls sehr. Die Nachfrage wird einerseits durch Importe aus der Schweiz abgedeckt. Andererseits gibt es eine steigende Anzahl deutscher Müller, die das Ruchmehl mehr oder weniger erfolgreich kopieren
In der Schweiz gibt es gerade noch gut 50 wirtschaftlich orientierte Mühlen, wovon drei davon 75% des Mehlbedarfs herstellen.
Kurz-Biografie Ruchmehl
wird meist aus Weizen-, seltener aus Dinkelkörnern hergestellt
hat einen Ausmahlungsgrad von ca. 85%
gibt den Broten eine rustikale, kräftige Note
enthält mehr Nahrungsfasern und Ballaststoffe als Weissmehl
hat eine gute Wasseraufnahmefähigkeit, hohe Hydrationen sind möglich
Das Weggli ist in der ganzen Schweiz verbreitet, trägt aber nicht immer den gleichen Namen. In der Romandie heisst es „pain au lait“ oder „petit pain au lait“, im Tessin „michetta al latte“ oder „panino al latte“. In Unterwalden hält sich teilweise bis heute der Begriff „Mutschli“ und im Bündnerland ist die Bezeichnung „Milchbrötli“ gang und gäbe. [...]
Erfolg und Niederlage liegen auch beim Brotbacken sehr nahe beieinander. Manchmal liegt es an einer Winzigkeit, dass das Backergebnis nicht wie gewünscht ausfällt. Die Freude und das Erfolgserlebnis des Brotbäckers sind getrübt. Die Gründe dafür sind so vielfältig wie es Mehlsorten gibt. Ich habe mir die Zähne ausgebissen an Teigen, die zu flüssig sind, die nicht schön gären. [...]
Inhalt überarbeitet im August 2020. Vor ein paar Jahren war ich der festen Überzeugung, dass man mit einer Sauerteigkultur nur Brote backen kann, die dicht und klobig ausfallen. Ein Versuch, mich selbst vom Gegenteil zu überzeugen, scheiterte kläglich. Das Thema war für mich soweit vom Tisch. Kommt dir bekannt vor? Ich entschloss mich trotzdem, diesen [...]
Ruchmehl
Ruchmehl – typisch schweizerisch!
„Und bringsch mer no es Pfünderli vom Beck, gäll!“ Das pflegte meine Mutter mir als Kind hinterher zu rufen, wenn ich für sie im Dorf ein paar Besorgungen machen musste. Dieses 500g schwere, längliche, herrlich duftende Brot bestand aus Ruchmehl und oft habe ich es schon auf dem Nachhauseweg angeknabbert. Es gehört zu meiner Kindheit wie die Ovomaltine oder das Aromat. Wir assen dieses Brot am liebsten zum Frühstück mit einer dicken Schicht Butter und Konfitüre bestrichen.
Viele unserer regionalen und kantonalen Brotspezialitäten werden ganz oder teilweise mit Ruchmehl gebacken. Solche Brote sind charaktervoll und rustikal angehaucht. Gleichzeitig sind sie sehr mild und vor allem hocharomatisch. Kein Wunder, sind sie in der Schweizer Brotlandschaft fest verankert. Aber nicht nur dort! Das Ruchmehl ist sogar per Schweizer Gesetz definiert, und zwar in der Verordnung Nr. 817.022.109 des Eidgenössischen Departements des Inneren. Um genau zu sein im 2. Kapitel, 1. Abschnitt, im Artikel 5. Dort wird es unter „Normalmehl“ als Mehl definiert, welches noch „einen Teil der äusseren Randschichten enthält“.
In der Schweiz gibt es im Endverbraucher-Markt keine DIN-Typisierung der Mehle. Auf der Verpackung steht einzig „Ruchmehl“ oder „Halbweissmehl“ oder „Weissmehl“. Die Müller – wollen sie Verbandsmitglieder beliefern – halten sich jedoch an die Vorgaben von Richemont, dem in Luzern ansässigen Kompetenzzentrum der Bäckerei- Konditorei- und Confiseriebranche. Dieses definiert die mögliche Bandbreite des Ausmahlungsgrades von Ruchmehl. Der Ausmahlungsgrad, auch Mehlausbeute genannt, gibt uns – vereinfacht gesagt – Informationen darüber, wie viel Prozent des ganzen Kornes im Mehl noch enthalten ist. Heisst: je höher das Gewicht des fertig gemahlenen Mehls in Bezug auf sein Anfangsgewicht ist, umso höher ist der Ausmahlungsgrad respektive umso mehr Randschichten sind im Mehl enthalten. Beim Ruchmehl liegt der Ausmahlungsgrad meist bei rund 85%. Dies entspricht ungefähr einem deutschen Weizenmehl Type 1050 oder einer österreichischen Type W 1600. Was den Geschmack und die Backeigenschaften betrifft sind sie allerdings meist nicht mit dem Original vergleichbar.
Was sind denn die Vorzüge des Ruchmehls? Ein Ausmahlungsgrad von rund 85% bedeutet, dass recht viele Randteilchen vom Korn enthalten sind. Das wirkt sich positiv auf den Geschmack aus. Brote mit Ruchmehl sind denn auch äusserst aromatisch und geschmacksvoll. Aber auch ernährungstechnisch bieten solche Mehle, die in Richtung Vollkornmehl gehen – einige Vorteile. Sie enthalten nämlich eine ganze Palette an gesunden Vitaminen, Mineral- und Ballaststoffen. Gerade die Ballaststoffe sind zudem in der Lage, viel Wasser zu binden. Und deshalb haben Teige, die mit eher dunkleren Mehlen erstellt werden, auch eine höhere Wasseraufnahmefähigkeit. Das wirkt sich unter anderem positiv auf die Frischhaltung der Brote aus. Man spricht, wenn es um den Wassergehalt in Teigen geht, auch von Hydration. Die Hydration drückt den prozentualen Wasseranteil im Teig in Bezug auf die Gesamtmehlmenge aus. Kommen zum Bespiel auf 1 Kilogramm Mehl 700g Wasser, beträgt die Hydration 70%. Das heisst also: je höher die Prozentzahl, umso mehr Wasser ist im Teig. Bei hochwertigem Ruchmehl sind Hydrationen im Bereich von 90% problemlos möglich.
Der Ausdruck „ruch“ steht im Schweizer Dialekt für „grob“, „rau“. Denn durch den hohen Ausmahlungsgrad entstehen damit eher dunkle, rustikale Brote.
Doch was ist denn das Erfolgsgeheimnis des Schweizer Ruchmehls? Adolf Tschudi führt mit seinem Sohn Lukas bereits in der 9. Generation die kleine, bei Mehlkennern sehr beliebte Altbachmühle in Wittnau, einer kleinen Gemeinde im Kanton Aargau. Um richtig gutes Mehl zu produzieren, sagt er, sei einerseits das Getreide wichtig. Deshalb arbeitet er eng mit regionalen Bauern zusammen. Dies garantiert eine konstante Qualität und die Steuerung der gewünschten Sorten. Andererseits brauche es – gerade bei anspruchsvolleren Mehlen wie dem Ruchmehl, die nötige Erfahrung am Walzenstuhl. Denn: Original Ruchmehl ist ein Direktprodukt präziser müllerischer Leistung und keine nachträgliche Mischung von Kleie und Weissmehl. Und etwas hat er auch noch gesagt. Sein Mehl besteht nämlich nur aus Mehl. Und sonst rein gar nichts. Auf meine Frage, wie lange denn der Prozess vom Korn zum Mehl dauere, sagt er mit bescheidener Begeisterung: „Knapp 10 Minuten!“ Ich staune. Die Mühle ist auf dem neusten Stand der Technik. Und trotzdem fühle ich mich inmitten dieser knatternden Maschinen und in diesem historischen Haus fast ein bisschen in eine frühere Zeit zurückversetzt. In eine Zeit, als die Welt noch klein und in Ordnung war. Und ich beim „Dorf-Beck“, wo heute eine grosse Überbauung steht, ein warmes, feinduftendes Pfünderli in die Arme schliessen konnte.
Auch deutsche und österreichische BrotkünstlerInnen und BäckerInnen schätzen die einzigartigen Vorzüge des Ruchmehls sehr. Die Nachfrage wird einerseits durch Importe aus der Schweiz abgedeckt. Andererseits gibt es eine steigende Anzahl deutscher Müller, die das Ruchmehl mehr oder weniger erfolgreich kopieren
In der Schweiz gibt es gerade noch gut 50 wirtschaftlich orientierte Mühlen, wovon drei davon 75% des Mehlbedarfs herstellen.
Kurz-Biografie Ruchmehl
Rezept für ein Ruchbrot: hier lang.
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